Vorsicht vor Angeboten für die Vermittlung tschechischer Führerscheine einschließlich Wohnsitz: VGH Baden-Württemberg setzt Schranken!

Leitsätze:

§ 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV ist insoweit mit Unionsrecht unvereinbar, als die Anwendung der Regelung nicht voraussetzt, dass kumulativ ein Wohnsitzverstoß vorliegt (Aufgabe der bisherigen Senatsrechtsprechung im Anschluss an EuGH, Urt. v. 26.04.2012 – Rs. C- 419/10 – Hofmann -)

Die Eintragung eines Wohnsitzes im Ausstellerstaat in einem EU-Führerschein begründet keine unwiderlegliche Vermutung dafür, dass das Wohnsitzerfordernis im Sinne der 2. und 3. Führerscheinrichtlinie erfüllt ist.

Die Behörden und Gerichte des Aufnahmemitgliedstaats sind befugt, vom Ausstellermitgliedstaat herrührende Informationen unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Falles daraufhin zu prüfen und zu bewerten, ob sie belegen, dass der Fahrerlaubnisinhabers tatsächlich seinen ordentlichen Wohnsitz im Sinne der 2. und 3. Führerscheinrichtlinie im Ausstellerstaat hatte.

 

Der VGH Baden-Württemberg hat in einer Entscheidung vom 21.06.2012 über den einstweiligen Rechtsschutz die Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen.

Der Antragsteller -dessen Neuerteilung einer deutschen Fahrerlaubnis aufgrund eines negativen Fahreignungsgutachtens versagt wurde – hat in der Folge eine tschechische Fahrerlaubnis erteilt bekommen, nachdem er einen Wohnsitz in der tschechischen Republik vorwies. Die deutsche Fahrerlaubnisbehörde stellte unter Anordnung der sofortigen Vollziehung festgestellt, dass der Antragsteller nicht berechtigt ist, aufgrund seiner am 11.08.2010 in der Tschechischen Republik erteilten Fahrerlaubnis im Bundesgebiet fahrerlaubnispflichtige Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr zu führen, und lehnte die Umschreibung dieser Fahrerlaubnis ab.

Aus den Gründen:
Wie die Beschwerde zutreffend ausführt, begegnet § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV allerdings unionsrechtlichen Bedenken insoweit, als die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV im Aufnahmemitgliedstaat bereits isoliert – also ohne zusätzlichen Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis nach Art. 7 Abs. 1 lit. e i.V.m. Art. 12 der Richtlinie 2006/126/EG (3. Führerscheinrichtlinie) – die Fahrberechtigung im Inland entfallen lässt. Dies ist nach der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Europäischer Gerichtshof nicht mit der 3. Führerscheinrichtlinie vereinbar.

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 26. April 2012 ( – Rs.
C-419/10 – Hofmann – juris) verwehren es Art. 2 Abs. 1 und Art. 11 Abs. 4 Unterabsatz 2 der 3. Führerscheinrichtlinie einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins abzulehnen, der einer Person, die Inhaber einer ihr in seinem Hoheitsgebiet entzogenen früheren Fahrerlaubnis war, außerhalb einer ihr auferlegten Sperrfrist für die Neuerteilung dieser Fahrerlaubnis von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wurde, sofern die Voraussetzung eines ordentlichen Wohnsitzes im Hoheitsgebiet des letztgenannten Mitgliedstaates eingehalten wurde. Der Anwendungsvorrang des Rechts der Europäischen Union schließt es damit entgegen der Auffassung des Antragsgegners aus, die Rechtsgrundlage für eine etwaige Inlandsungültigkeit der tschechischen Fahrerlaubnis des Antragstellers nach wie vor in § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV zu sehen.

Maßgeblich für die Entscheidung im Hauptsacheverfahren ist daher die Frage, ob die angefochtene Verfügung auf § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV gestützt werden kann, soweit darin die Inlandsungültigkeit der Fahrerlaubnis des Antragstellers festgestellt wurde, und sich die Verfügung daher im Ergebnis als richtig erweist (vgl. BVerwG, Urt. vom 25.02.2010 – 3 C 15.09 – juris Rn. 24). Nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV gilt die Berechtigung, Kraftfahrzeuge im Inland zu führen, nicht, wenn der Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis ausweislich der Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hatte, es sei denn, dass er als Studierender oder Schüler im Sinne des § 7 Abs. 2 FeV die Fahrerlaubnis während eines mindestens sechsmonatigen Aufenthalts erworben hat.

Ein ordentlicher Wohnsitz wird nach § 7 Abs. 1 Satz 2 FeV, der im Wortlaut Art. 12 der 3. Führerscheinrichtlinie entspricht, angenommen, wenn der Bewerber wegen persönlicher und beruflicher Bindungen oder – bei fehlenden beruflichen Bindungen – wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen ihm und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, d.h. während mindestens 185 Tagen im Jahr, im Inland wohnt. Diese Regelungen stehen mit Unionsrecht in Einklang.

An der Einhaltung des Wohnsitzerfordernisses bestehen nach den Erkenntnismöglichkeiten des vorliegenden Eilverfahrens Zweifel, die zu weiteren Ermittlungen Anlass geben (vgl. BVerwG, Urt. vom 25.02.2010 a.a.O. Rn. 23; OVG Münster, Urt. vom 22.02.2012 – 16 A 1456/08 – juris). Zwar ist in der tschechischen Fahrerlaubnis des Antragstellers unter Nr. 8 ein Wohnort in Tschechien eingetragen. Der Antragsteller ist aber seit 1992 ununterbrochen im Bundesgebiet gemeldet. Weder im Verwaltungsverfahren noch im Gerichtsverfahren haben sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass er persönliche oder berufliche Bindungen oder sonst enge Beziehungen zu dem im Führerschein eingetragenen Ort hat und sich deshalb mehr als die Hälfte eines Jahres dort aufhält. Hierfür hat er auch im Beschwerdeverfahren nichts dargetan. Zweifel an der Begründung eines ordentlichen Wohnsitzes im Ausstellerstaat ergeben sich nicht zuletzt daraus, dass der Antragsteller im Bundesgebiet mit der Wiedererlangung der Fahrerlaubnis gescheitert ist und gerichtsbekannt ist, dass für solche Fälle fiktive Wohnsitze in Tschechien gegen Entgelt vermittelt werden.

VGH Baden-Württemberg vom 21.06.2012 – 10 S 968/12-    Quelle: juris

Über den Autor:

Martin Ellinger ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht in Stuttgart-Möhringen.  Ab dem Beginn seiner Berufstätigkeit hat sich Rechtsanwalt Ellinger auf das Verkehrsrecht spezialisiert. Seit 2002 ist er als ADAC-Vertragsanwalt tätig. Die Schwerpunkte seiner Arbeit liegen in der Verteidigung von Verkehrsstrafsachen und Bußgeldverfahren, der Regulierung von Verkehrsunfällen, auch mit schwerem Personenschaden, sowie der Fahrerlaubnisrecht. Nähere Einzelheiten sowie interessante Rechtstipps und ständig neue Urteile finden Sie auf unseren Internetpräsenzen: http://ellinger.adac-vertragsanwalt.de  und www.pitz-ellinger.de.

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