VG Gelsenkirchen: Sag mir wie viel THC du im Blut hast und ich sage dir wie oft du kiffst?

Ein Hinweis der Kollegen Bella & Ratzka auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen ließ mich neugierig werden. Leider findet sich unter dem angegebenen Aktenzeichen nur eine Pressemitteilung, nicht die Entscheidung im Volltext. Danach hat das VG Gelsenkirchen in einem Eilverfahren anscheinend den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gegen die Entziehung einer Fahrerlaubnis abgelehnt, da es aus der im Blut festgestellten THC-Konzentration Rückschlüsse auf die Konsumgewohnheiten des Antragstellers zieht und gelegentlichen Cannabiskonsum annimmt.

Hierzu die Pressemitteilung:

(…) Das Straßenverkehrsrecht bestimmt, dass derjenige, der „gelegentlich“ Cannabis einnimmt und nicht zwischen Konsum und Fahren trennt ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist, mit der Folge, dass die Fahrerlaubnis zu entziehen ist.

Die Rechtsprechung geht von „gelegentlichem“ Konsum aus, wenn jemand jedenfalls zweimal Cannabisprodukte konsumiert hat. Rückschlüsse auf das Vorliegen dieser Voraussetzung, können aus der Konzentration des psychoaktiven Cannabis-Wirkstoffs Tetrahydrocannabinol (THC) und dessen Abbauprodukten in einer Blutprobe gezogen werden. (…)

Der Antragsteller war Anfang November 2011 am frühen Abend in einer Verkehrskontrolle aufgefallen und erklärte sich mit der Entnahme einer Blutprobe einverstanden. Deren Auswertung ergab eine erhebliche THC-Konzentration. Bei seiner polizeilichen Vernehmung gab er an, in der vergangenen Nacht zwei Joints konsumiert zu haben. Aufgrund dieser Aussage gingen die Straßenverkehrsbehörde und die Kammer von mindestens zweifachem, und damit gelegentlichem, Konsum aus. Der in der Blutprobe festgestellte THC-Wert ließ sich aufgrund der Zeitspanne, in welcher der Wirkstoff im Körper abgebaut wird, mit dem vom Antragsteller eingeräumten Konsum nämlich nicht erklären, sondern nur durch einen weiteren Konsum in der Zwischenzeit.

Da der Antragsteller sein Fahrzeug unter erheblichem Cannabiseinfluss geführt hatte, ging die Kammer des weiteren davon aus, dass er nicht zwischen Konsum und Fahren trennen könne. Die nachgewiesene THC-Konzentration spreche gerade gegen den Vortrag des Antragstellers, er habe zwischen seinem letzten Cannabis-Konsum und dem Fahrtantritt eine ausreichende Zeit verstreichen lassen.

Auch der Umstand, dass der Antragsteller zwischen der festgestellten Fahrt und der Entziehung der Fahrerlaubnis gut fünf Monate am Straßenverkehr teilgenommen habe ohne auffällig zu werden, rechtfertigt nach Auffassung der Kammer im Hinblick auf das besondere Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit im Straßenverkehr nicht, dem Antragsteller bis zu einer Entscheidung über seine Klage gegen die Fahrerlaubnisentziehung, vorläufig am Straßenverkehr teilnehmen zu lassen.

VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 20.06.2012, Az: 9 L 592/12

Ungeachtet dessen, dass man bei einer Verkehrskontrolle überhaupt keine Angaben zu einen stattgefundenen Konsum machen sollte, weder zur Menge, noch zum Zeitpunkt, fragt man sich, wie das VG hier zu der Feststellung gelangen konnte, zwei Joints in einer Nacht ließen sich nicht mit der THC-Menge im Blut in Einklang bringen. Lagen den VG Erkenntnisse zur Qualität, sprich Wirkstoffgehalt des Cannabis vor? Welche Zeitspanne, innerhalb derer sich THC abbaut, hat das VG zu Grunde gelegt? Wie hoch war der THC-COOH-Wert? Ohne Volltext leider alles spekulativ. Daher einige allgemeine Anmerkungen.

Nach der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung(FeV) soll nur die regelmäßige (Nr. 9.2.1) und – wenn keine Trennung zwischen Konsum und Fahren erfolgt – die gelegentliche (Nr. 9.2.2), nicht aber die einmalige Einnahme von Cannabis den Wegfall der Fahreignung und damit die Entziehung der Fahrerlaubnis nach sich ziehen. Belässt es jemand also bei einem einmaligen, experimentellen Gebrauch von Cannabis, so ergibt sich daraus keine Notwendigkeit, ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen.

In der deutschen Sprache soll „gelegentlich” die Häufigkeit von Geschehnissen umschreiben, im Sinne von „manchmal”, „häufiger, aber nicht regelmäßig”, „öfters”, „hin und wieder” oder „ab und zu”. Der Begriff dient damit zur Beschreibung eines mehr als ein Mal eingetretenen Ereignisses. Eine „gelegentliche“ Einnahme von Cannabis ist gekennzeichnet durch einen zumindest mehrmaligen Konsum; bleibt es bei einem einmaligen Vorkommnis dieser Art, kann nach allgemeinem Sprachgebrauch nicht von einer gelegentlichen Einnahme die Rede sein.

Es steht der Annahme eines einmaligen Konsums dabei auch nicht entgegen, wenn jemand seinem Körper in so engem zeitlichem Zusammenhang mehrere Konsumeinheiten zugeführt hat, dass von einem einheitlichen Lebensvorgang gesprochen werden muss (vgl. OVG Brandenburg, Beschl. v. 13.12.2004 – 4 B 206/04, Blutalkohol 2006, 161/163). Denn zum Wesen des Probierkonsums gehört es gerade, dass der Handelnde ausloten will, wie sich Cannabis auf seine Befindlichkeit auswirkt. Zeitigt die Einnahme des Betäubungsmittels entweder keine oder nicht die erwartete Wirkung, so liegt es in der inneren Logik eines Verhaltens, das der Gewinnung von Erfahrung in Bezug auf Cannabis dienen soll, dass der Experimentierende sich eine höhere Dosis dieses Betäubungsmittel zuführt. Zwar kann aus der mangelnden Kenntnis der Rauschmittelwirkung die eher zurückhaltende erstmalige Aufnahme einer vergleichsweise geringen Probedosis resultieren. Andererseits kann bereits beim Erstkonsum eine hedonistische Erfahrung der Cannabiswirkung gemacht oder ein anderer als der in Aussicht gestellte Effekt erlebt werden. Beides kann zu möglicherweise mehrfacher unmittelbarer Wiederholung einer inhalativen Einzelaufnahme im Rahmen derselben Session führen, wobei sich die mehrfache Inkorporation einer Einzeldosis THC nicht ausschließen lässt (vgl. OVG Brandenburg, Beschl. v. 13.12.2004 – 4 B 206/04, Blutalkohol 2006, 161/1639.

Welchen Wirkstoffgehalt das konsumierte Cannabis hat, wird ein Betroffener bei einem erstmaligen Probierkonsum mangels entsprechender Erfahrungswerte nicht beurteilen können. Bei entsprechend hoher Konzentration an aktivem THC im Blut muss davon ausgegangen werden, dass es sich um Cannabis mit hohem Wirkstoffgehalt handelte. Da die maximal erreichbare Konzentration an THC-Carbonsäure von der THC-Dosis abhängt, kann ein exzessiver Probierkonsum auch zu entsprechend hohen Werten führen.

Die sichere Annahme des gelegentlichen oder häufigeren Konsums entsprechend der Datenlage unterhalb 100 ng/ml ist medizinisch gesichert nicht möglich. Erst THC-Carbonsäure-Konzentrationen, die über 100 ng/ml liegen, sind als Hinweis und bei Überschreitung von 150 ng/ml als Beweis für einen häufigeren Konsum von Cannabis heranzuziehen. Ein THC-Carbonsäure-Wert von über 80 ng/ml bis 100 ng/ml kann auf eine einmalige Konsumepisode zurückzuführen sein.

Der Antragsteller hätte bei der Kontrolle besser geschwiegen oder aber einen exzessiven, aber erstmaligen Probierkonsum behauptet. Dass das VG hier allein auf den Aktivwert abstellt, der Carbonsäurewert aber  mit keiner Silbe erwähnt wird, überrascht etwas oder aber es reden Blinde von Farbe.

Quelle: http://www.mitfugundrecht.de/category/verkehrsrecht/