Haftungsverteilung: Kraftfahrzeug vs. Fußgänger

Die Fahrbahn gehört in erster Linie den (Kraft-)Fahrzeugen; für Fußgänger existieren Überquerungshilfen wie z.B. Zebrastreifen. Betritt ein Fußgänger die Fahrbahn und kommt es dort zur Kollision, so werden vorgerichtlich oftmals seitens der Kraftfahrthaftpflichtversicherer mit dieser – schmalen – Begründung die Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche der Geschädigten zurückgewiesen. Zu Recht?

Zunächst haftet der KH-Versicherer verschuldensunabhängig aus Gefährdung, da eine Verursachung durch höhere Gewalt regelmäßig ausscheidet. Auch wenn sich der Kraftfahrer optimal verhalten hat („Idealfahrer“) und daher der Unfall für ihn unabwendbar war, bleibt es also im Ausgangspunkt bei der Haftung aus sogenannter Betriebsgefahr. Zunächst genügt also die Tatsache, dass sich bei Betrieb eines Kraftfahrzeuges ein Unfall ereignet hat. Jedes (Mit-) Verschulden des Fußgängers hat der Kraftfahrer, respektive sein KH-Versicherer, zu beweisen, BGH Urteil vom 24.09.2013 – VI ZR 255/12.

Ein solches Mitverschulden ist v.a. bei einem Verstoß gegen § 25 StVO im Raum. Danach hat jeder Fußgänger bei Betreten oder Überschreiten der Fahrbahn besondere Vorsicht walten zu lassen; so darf er z.B. nicht in die Fahrbahn eines herannahenden Fahrzeuges treten, OLG Hamm Urteil vom 26.04.2012 – 6 U 59/12. Die Konsequenz ist eine Anspruchskürzung wegen Mitverschuldens, § 254 BGB.  Die Haftung des KH-Versicherers kann jedoch auch auf Null reduziert werden, wenn ein so grober Verkehrsverstoß vorliegt, dass dahinter die Betriebsgefahr des Kfz vollständig zurücktritt.

So hat das OLG Celle bei einer stark alkoholisierten Fußgängerin (1,75 Promille), die bei Dunkelheit und Regen eine innerörtliche Straße überquert und hierbei von einem PKW erfasst und schwer verletzt wird, deren volle Haftung angenommen, OLG Celle Urteil vom 19.03.2015 – 5 U 185/11. Das Gericht hatte einen Sachverständigen mit der Erstellung eines unfallanalytischen Gutachtens zum Hergang beauftragt. Danach stand für das Gericht fest, dass die Kfz-Fahrerin trotz Vollbremsung die Kollision nicht verhindern konnte und sich das Verhalten der Fußgängerin als grober Verkehrsverstoß darstellt.

Dagegen hat das AG Weißenburg i.Bay. – ebenfalls nach Erholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens – eine Haftungsverteilung 1:1 vorgenommen, obwohl der Fußgänger stark alkoholisiert die Straße überquerte (und hierbei tödliche Verletzungen erlitt). Dieser Unfall ereignete sich jedoch bei besten Licht- und Sichtverhältnissen und der Fußgänger war bereits zuvor durch Unsicherheiten bei der Fortbewegung – auch für den PKW-Fahrer – auffällig geworden.

Es kommt also wieder einmal auf die konkreten Umstände des Einzelfalls und auf den Vortrag der Parteien entscheidend an.

 

 

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Michael Schmidl, anwaltschmidl.de

Der Autor ist Rechtsanwalt und Gründer der Fachanwaltskanzlei für Versicherungs- und Verkehrsrecht Schmidl. Er ist seit 2005 Fachanwalt für Verkehrsrecht und Fachanwalt für Versicherungsrecht.

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