Auffahrunfall – wer auffährt, hat nicht immer die alleinige Schuld an dem Unfall (Urteilsgründe)

Das Urteil des Amtsgerichts Grünstadt vom 18.02.2011 – AZ: 2 C 79/10 – ist rechtskräftig.

Nachfolgend zitieren wir aus den Urteilsgründen:

„Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch aus § 7 StVG i.V.m. §§ 115 WG, 249 ff. BGB auf Zahlung von 50 % des verursachten Schadens zu, da den Kläger ein Mitverschulden an der Unfallentstehung in Höhe von 50 % trifft.

Ein Anspruch des Klägers folgt aus § 7 Abs.1 StVG. Im vorliegenden Fall kam es bei der beiderseitigen Fahrt zu einem Zusammenstoß und in dessen Folge zu Sachschäden womit bei Betrieb eines Kraftfahrzeuges eine Sachbeschädigung eintrat. Eine Verursachung durch höhere Gewalt, § 7 Abs. 2 StVG, ist von keiner der beiden Parteien geltend gemacht worden.

Ein Anspruch des Klägers nach § 7 Abs. 1 StVG ist daher nur dann ausgeschlossen, wenn der Unfallschaden durch ein für die bei der Beklagten versicherten Halterin und Fahrerin ein unabwendbares Ereignis darstellte, was jedoch auch nicht vorgetragen ist.

Im vorliegenden Fall passierte der Unfall durch mehrere Kraftfahrzeuge, so dass die Verpflichtung zum Ersatz des Schadens davon abhängig ist, wie im Verhältnis der Fahrzeugführer zueinander ein Ausgleich unter Berücksichtigung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge vorzunehmen ist, § 17 StVG, wobei eine Abwägung aller festgestellten Umstände des Einzelfalls maßgeblich ist.

Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass beide Seiten gleichwertige Verursachungsbeiträge beim Unfallgeschehen zu tragen haben.

Die bei der Beklagten versicherte Fahrerin hat zumindest fahrlässig gegen die Pflichten aus § 4 Abs.1 S. 2 StVO verstoßen, indem sie auf der Höhe des Schildes „Vorfahrt gewähren“ ohne zwingenden Grund angehalten hat. Nach der Aussage des Zeugen steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Fahrerin des unfallgegnerischen Fahrzeugs nicht aus verkehrsbedingten Gründen angehalten hat, vielmehr erscheint es so, dass sie das Schild Vorfahrt gewähren missinterpretierte und die Beschleunigungsspur nicht nutzen wollte, sondern nach Kontrolle des fließenden Verkehrs direkt auf die Bundesstraße auffahren wollte. Nach der Aussage des Zeugen steht für das Gericht fest, dass der Beschleunigungsstreifen frei befahrbar war und damit ein Anhalten der Unfallgegnerin nicht erforderlich war.

Zudem war ein Anhalten am Beginn des Beschleunigungsstreifens ohnehin nicht erforderlich. Aus der eigenen Fahrausbildung weiß das Gericht, dass selbst wenn eine Auffahrt auf die vorfahrtsberechtigte Straße bspw. wegen zu dichtem Verkehr nicht möglich sein sollte, die Beschleunigungsspur bis ca. 50 bis 75 % der Strecke zu befahren ist und erst dort auf eine Lücke im Verkehr zu warten ist, um dem nachfolgenden Verkehr die Möglichkeit zur rechtzeitigen Kenntnis zu geben, was im Verlauf der Kurve nicht mit Sicherheit zu erwarten ist. Dadurch, dass die Unfallgegnerin jedoch am Beginn der Beschleunigungsspur ohne Not anhielt, hat sie dadurch zumindest den nachfolgenden Verkehr unnötigerweise behindert.

Jedoch trifft auch den Kläger ein zumindest fahrlässiger Verstoß gegen die Vorschriften der StVO, namentlich § 4 Abs. 1  S. 1 StVO, da zur Überzeugung des Gerichts feststeht, dass der Zeuge als Fahrer des klägerischen Fahrzeugs nicht den erforderlichen Sicherheitsabstand eingehalten hat. Nach den Ausführungen des Zeugen steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dieser Abstand hier unterschritten war. Zwar ist es bekanntermaßen recht schwierig den genauen Abstand zum Vorausfahrenden abzuschätzen, jedoch hat der Zeuge ausgesagt, dass ein Abstand von einer Fahrzeuglänge, ca. 5 bis 6 Metern, eingehalten wurde, während der Zeuge weiterhin glaubwürdig aussagte, dass hier regelmäßig etwa Tempo 30 gefahren wird, da sonst die Kurve nicht zu durchfahren ist.

Selbst wenn man unterstellt, dass der Abstand größer als geschätzt war, wäre ein derartiger Abstand im Bereich von unter 10 Metern für den sicheren Stillstand des Fahrzeuges beim plötzlichen Abbremsen des Vorausfahrenden nicht ausreichend gewesen, da beim Tempo 30 pro Sekunde eine Wegstrecke von 8,3 Metern zurückgelegt wird. Dazu kommt, dass der Zeuge ausgesagt hat, dass er einen längeren Zeitraum nach links in Richtung der vorfahrtsberechtigten Straße geblickt hat, um sich über parallel fahrenden bevorrechtigten Verkehr zu vergewissern. Dies zusammen mit der Unterschreitung des Abstandes stellt einen erheblichen Verstoß gegen die Pflichten aus der StVO dar.

Das Gericht kommt bei wertender Betrachtung zu einer gleich großen Haftungsverteilung, da beide Seiten ein erheblicher Verstoß gegen die Regelung der StVO zur Last fällt und die beiden Beiträge gleich schwer wiegen. Wäre der Zeuge mit ausreichendem Sicherheitsabstand gefahren wäre der Unfall vermutlich genauso vermeidbar gewesen wie bei Unterlassen des nicht notwendigen Anhaltens der Unfallgegnerin.

Soweit vorgetragen ist, dass der Unfall für den Kläger ein unabwendbares Ereignis darstellt, vermag das Gericht dem nicht zu folgen. Hätte der Zeuge sich selbst an den notwendigen Abstand gehalten bzw. nicht eine längere Zeit nach links auf die Vorfahrtsstraße gesehen, wäre der Unfall vermeidbar gewesen.

Aufgrund dieser Haftungsverteilung steht dem Kläger die hälftige Unfallpauschale in Höhe von 13 € aus den geltend gemachten 26 € zu. Diese und die geltend gemachte Selbstbeteiligung in Höhe von 300 € an der bereits erfolgten Regulierung durch die Vollkaskoversicherung steht dem Kläger in voller Höhe zu, da er insoweit das Quotenvorrecht geltend machen kann und die Vollkaskoversicherung diesbezüglich nicht reguliert hat.“

Soweit das Amtsgericht Grünstadt.

Rechtsanwalt Klaus Spiegelhalter ist Fachanwalt für Verkehrsrecht in Saarlouis. Rechtsanwalt Spiegelhalter hilft in allen Fragen des Verkehrsrechts insbesondere bei der unbürokratischen Unfallabwicklung (auch per WebAkte), bei Bußgeldern, Führerscheinproblemen, Punkten in Flensburg usw.

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